„Alliierte in Wien“

von Dr. Cheryl Benard, Präsidentin, ARCH International

 

Das Wien Museum (Museum der Stadt Wien) zeigt derzeit die Sonderausstellung „Kontrollierte Freiheit – Die Alliierten in Wien“ über die Besatzungszeit nach dem Zweiten Weltkrieg.

Die Ausstellung umfasst zahlreiche Originalgegenstände aus dieser Zeit, darunter Lebensmittelkarten und Lebensmittel aus CARE-Paketen; Karten, Fotos und Filmausschnitte über die Zerstörung der Stadt; politische Plakate, mit denen die jeweiligen Ideologien der Alliierten – Kommunismus vs. westliche Demokratie – propagiert wurden; sowie Zeitschriften und Fotos aus Privatsammlungen.

Ich hatte eine persönliche und eine ARCH-Reaktion. Meine Mutter erlebte die Nazijahre und den Krieg als Kind/Jugendliche und sprach oft über diese Zeit – die anfängliche Begeisterung und den scheinbaren wirtschaftlichen Aufschwung, dann Krieg und Nächte im Keller, während Bomben fielen, das frühmorgendliche Anziehen unter der Decke in einer eisigen, ungeheizten Wohnung, die schockierte Feststellung, dass die Speisekammer tatsächlich vollkommen leer war und es absolut nichts zu essen gab, der Versuch, aus Löwenzahnblättern und Wasser eine Suppe zu kochen…dann die schrecklichen Tage, als die Russen Wien allein beherrschten, und die Erleichterung, als die amerikanischen, britischen und französischen Truppen eintrafen und allmählich wieder Sicherheit und Ordnung etabliert wurden.

Mein Vater war amerikanischer Soldat und Teil der Besatzungstruppen; meine Eltern lernten sich kennen, verliebten sich und heirateten im neunten Bezirk in der Servitenkirche. Die Ausstellung berührte mich tiefer und unmittelbarer als ich das erwartet hätte; ein Eintauchen in die Geschichten und das Leben meiner Mutter und in die Schicksale derer, die im Gegensatz zu ihr kein romantisches Happy End erlebten.
(Ich bereite gerade ihre Tagebücher für die Veröffentlichung vor, eine fesselnde Tag-für-Tag-Reise durch die Kriegsjahre aus der Sicht einer jungen Frau. Demnächst auf Amazon unter dem Titel „Charlotte‘s War“).

Aus der Emotion konnte ich mich in meine ARCH-Persona retten, und aus dieser Perspektive wurde es dann zu einer positiveren, sehr anregenden Ausstellung.

Mir war nicht bewusst gewesen, wie nachdrücklich sich alle Besatzungsmächte darauf konzentrierten, die besiegten und erschöpften Österreicher auf ein neues Selbstgefühl und eine neue Identität hinzuleiten, eine, die auf Natur, Kunst und Kultur basierte. Dadurch sollten sie sich von Deutschland lösen und als friedliches, schöpferisches Volk begreifen. Vollends zum Ausdruck kam das dann in der 1947 offiziell übernommenen neuen Hymne, in der sich Österreicher als „begnadet für das Schöne“ beschrieben.

 

Denn, wie die Museumsbroschüre erklärt, sollten die zahlreichen Aktivitäten und Programme, die von den vier Armeen und ihren jeweiligen Regierungen gefördert und ins Leben gerufen wurden, „nicht nur den wirtschaftlichen und politischen Wiederaufbau unterstützen, sondern auch eine emotionale Grundlage für die Entstehung einer österreichischen Identität schaffen – also eines von Deutschland unabhängigen Selbstbildes.“

Als sich der Krieg dem Ende nahte und sein Ausgang klar erkennbar war, hatten die Alliierten vereinbart, dass jene Armee, die zuerst Wien erreichte, am Stadtrand auf die Ankunft der anderen warten würde. Gemeinsam würden sie dann die Hauptstadt einnehmen. Die Russen trafen zuerst ein und beschlossen, diese Vereinbarung nicht einzuhalten. Eine Gruppe von Wehrmachtsoffizieren beabsichtigte, die Stadt kampflos zu übergeben, im Interesse der Zivilbevölkerung. Hardliner bekamen davon Wind und ließen sie wegen Hochverrats hinrichten. Die Folge war ein erbitterter und blutiger Straßenkampf, der nichts brachte und 35.000 Menschenleben kostete.

Die Bewertung des russischen Anteils an der Besatzung muss zwangsläufig zweigeteilt sein, und das wird von der Ausstellung auch ehrlich wenn auch immer noch eine Spur zu höflich vermittelt. Russische Militäringenieure fokussierten auf den Wiederaufbau dringend benötigter Infrastruktur wie Brücken und Straßen, und das war wertvoll. Sie waren auch Vorreiter im Bestreben, die österreichische Kultur zu fördern. So ordneten sie z.B. die nahezu sofortige Wiederaufnahme von Theater- und Opernaufführungen an und stellten alternative Veranstaltungsorte zur Verfügung, bis die historischen Gebäude restauriert werden konnten. Sie versäumten es jedoch, von ihren Soldaten Disziplin zu fordern, und erlaubten es diesen, nach Belieben zu plündern, zu rauben und zu vergewaltigen. Wie ein Schild in der Ausstellung vermerkt,

„Ohne die große Unterstützung aller vier Alliierten wäre es weder möglich gewesen, den katastrophalen Versorgungsmangel zu beheben noch Wien rasch wiederaufzubauen. Die sowjetischen Behörden unterstützten den Wiederaufbau der beschädigten Infrastruktur, den Wiederaufbau kultureller Einrichtungen und einen raschen politischen Wiederaufstieg. Die Plünderungen und Gewalttaten sowjetischer Soldaten prägten das kollektive Gedächtnis der Wiener jedoch stärker. Dies steht im krassen Gegensatz zu den amerikanischen Besatzungstruppen. Zeitzeugen berichten hier eher von CARE-Spenden und der Marshall-Plan Hilfe. Auch Freizeit- und Sportmöglichkeiten spielen in diesen Erinnerungen bis heute eine große Rolle – die beliebten amerikanischen Seifenkistenrennen oder die von den Alliierten organisierten Weihnachtsfeiern und Schulmahlzeiten sind hierfür Paradebeispiele.“

Meine Mutter und andere ihrer Generation erinnerten sich mit Abscheu an die russischen Soldaten als ungehobelte Barbaren, die die Zivilbevölkerung der Stadt und insbesondere die Frauen terrorisierten, bis endlich die anderen Armeen eintrafen und für Sicherheit, Recht und Ordnung sorgten. Alle erzählten das gleiche. Die Soldaten wüteten in Wohnhäusern und suchten nach Wertgegenständen und Frauen. Rückständig und ungebildet, rissen sie Messingtürklinken ab weil sie diese für Gold hielten. Sie stahlen Uhren und schnallten sich so viele ums Handgelenk, wie sie nur konnten. Wenn sie in ein Wohnhaus stürmten, versuchte einer der Bewohner sie unter irgendeinem Vorwand am Eingang aufzuhalten, um den Frauen und Mädchen Zeit zu geben, sich zu verstecken. Meine Mutter verbrachte Stunden flach zusammengepresst in der Wäscheschublade unter dem Bett, während ihre Mutter mit einem zerrissenen Kopftuch auf dem Bett saß und versuchte, so alt und arm wie möglich auszusehen. Die Russen verschleppten ihre Opfer in Militärlastwägen, und man hörte die Frauen um Hilfe schreien, die keiner ihnen geben konnte. Und ihre feinen Generäle förderten Kunst und Theater… ziemlich klar, was sich davon tiefer in das kollektive Gedächtnis Österreichs eingebrannt hat.

Aber zurück zur Kultur als Instrument des nationalen Wiederaufbaus. Nach dem Ersten Weltkrieg hatten die Sieger alles darangesetzt, Deutschland zu demütigen, anhaltend zu bestrafen und die Normalisierung seines Wirtschaftslebens zu vereiteln. Mittlerweile hatte man in diesem Vorgehen eine der Hauptursachen für die ideologische Radikalisierung der Deutschen und deren Anfälligkeit für den Faschismus erkannt. Österreich brauchte in der Diagnose der Alliierten eine unpolitische Grundlage für ihre Nachkriegsidentität, und hierfür boten sich ihre Kultur, Musik, ihr Theater und ihre Kunst an. Dies würde es ihnen auch ermöglichen, auf neutralem kulturellem Boden wieder mit dem Rest der Welt in Kontakt zu treten. Die Alliierten halfen bei der Reparatur und Wiedereröffnung von Kinos, Theatern und Printmedien.

Sie teilten auch ihre eigenen kulturellen Produkte in großem Umfang: Russische Primaballerinas kamen zum Tanzen, Militärorchester boten klassische Konzerte an, russische, französische und amerikanische Filme wurden gezeigt, alles kostenlos oder fast kostenlos. Alle vier eröffneten Bibliotheken. Die Franzosen organisierten Kunstausstellungen.

Die Ausstellung kommt zu dem Schluss, und das entspricht auch dem was ich immer von Zeitzeugen erzählt bekam, dass Amerika den unausgesprochenen Beliebtheitswettbewerb gewann. Hollywood-Filme, Jazz und Weihnachtsfeiern mitsamt Santa Claus machten die erschöpfte, immer noch mit immensen Alltagsschwierigkeiten kämpfenden Menschen glücklicher und boten eine bessere Ablenkung, als tiefsinnige Diskussionen über Arbeitnehmerrechte und Filme über Iwan den Schrecklichen


Die Ausstellung läuft bis zum 7. September und ist sehr empfehlenswert.

Cheryl Benard, ARCH International

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